Foto: Sepp Weinzettl
Kurzbeschreibung des Naturraums
Der Neusiedler See ist ein in Österreich einzigartiges Naturjuwel mit besonderem Artenreichtum von internationaler Bedeutung. Von der biogeografischen Grenze und dem pannonischen Klima geprägt gibt es im gesamten Natura 2000 - Gebiet Neusiedler See -Seewinkel besondere Lebensräume mit spezifischen Artzusammensetzungen, die auf europäischer Ebene äußerst selten sind und mit denen Österreich eine hohe Verantwortung zur Erhaltung der europäischen Diversität mitträgt. Die in der FFH-Richtlinie I gelisteten prioritären Lebensraumtypen 1530 und 2340 umfassen Pannonische Salzsteppen und Salzwiesen sowie pannonische Binnendünen, deren Verbreitungsschwerpunkte im Nordburgenland liegen (Richtlinie 92/43/EWG).
Foto: Nationalpark Archiv, Alois Lang
Das pannonische Klima ist durch extreme Temperaturen und starke Sommertrockenheit geprägt. Die hohe Verdunstung am Boden „saugt“ Grundwasser an die Oberfläche, es kommt so zu einer Anreicherung der darin gelösten Alkalisalze in den oberen Bodenschichten. Diese salzhaltigen Böden werden auch als Solonetz und Solontschak bezeichnet (Essl, 2005). In den kühleren Wintermonaten kommt es zur Bildung von Salzsumpfwiesen. Salzhaltige Böden sind Extremstandorte für Pflanzen – sie brauchen spezielle physiologische Anpassungen um dort wachsen zu können. Durch unterschiedliche Überlebensstrategien entsteht an solchen Extremstandorten – wie auch auf Trockenrasen und Magerstandorten – eine hohe Artenvielfalt.
Foto: Nationalpark Archiv
Diese hohe Salzkonzentration in den oberen Bodenschichten macht die Ökologie der Salzlacken des Seewinkels auch so besonders. Die Salze dichten den Boden nach unten ab, wodurch das Wasser nicht versickert. Sie sind dynamische Lebensräume: starke Sommertrockenheit lässt sie verdunsten, wodurch sich die Salze im Boden wieder anreichern können. Mit den nächsten Niederschlägen füllen sich die Lacken erneut. So ist der Austrocknungsprozess für das langfristige Bestehen der Lacken eine Notwendigkeit, die Dynamik ist charakteristisch für Steppenlebensräume wie diesen.
Ähnlich ist die Wasserstandsdynamik des Neusiedler Sees: Die Salzkonzentration des großen Steppensees verdichtet ihn nach unten, die Trübung durch die gelösten Partikel verhindert eine Verlandung durch zu hohes Pflanzenwachstum (Sonnenlicht kann nicht in tiefere Wasserschichten eindringen). Austrocknungsperioden von bis zu fünf Jahren sind aus der jüngeren Vergangenheit dokumentiert und sind für einen niederschlagsabhängigen Steppensee nichts Außergewöhnliches. Dabei werden die oberen Bodenschichten durch das Zusammenspiel von Verdunstung und Sogwirkung mit Salz angereichert, abgelagertes organisches Material am Seegrund wird durch den Wind abgetragen. Nach einiger Zeit füllt sich der See erneut mit Niederschlagswasser. Versucht man in dieses dynamische Gleichgewicht dieser Lebensräume einzugreifen, kann das den Verlandungsprozess und somit das dauerhafte Verschwinden des Sees beschleunigen.
Foto: Nationalpark Archiv, Kramazik
Wasserstandschwankungen
Die Lacken und auch der Neusiedler See sind Feuchtgebiete, die fast ausschließlich durch Niederschlagswasser gespeist werden. Dadurch kommt es über das Jahr natürlicherweise zu starken Wasserstandsschwankungen. Steigt der Wasserstand des Neusiedler Sees, bedeutet dies in einer flachen Steppenlandschaft wie im Nordburgenland eine großflächige Überflutung der angrenzenden Kulturlandschaft – vor allem am flächen Ostufer. Diese hohen Wasserstände sind enorm wichtig für den Grundwasserkörper, der sich durch das überschüssige Wasser regenerieren und sich so von der Übernutzung (z.B. durch Bewässerung) erholen kann. Der Grundwasserkörper steht mit dem See insofern in Verbindung, als dass bei einem zu niedrigen Grundwasserspiegel die gelösten Salze durch die Sogwirkung während der Verdunstungsperiode nicht mehr nach oben transportiert werden können. Die Nutzung des Seewinkler Grundwasserkörpers führt ohne natürliche Erholung dauerhaft zum Schrumpfen des Grundwassers.
Aktuelle Gefahren/Bedrohungen
- Entwässerung durch den Einser-Kanal
Um Überschwemmungen in den angrenzenden Ortschaften des Sees zu verhindern und feuchte bzw. überflutete Flächen landwirtschaftlich nutzen zu können wurde der Einser-Kanal im Südosten des Sees Ende des 19. Jahrhunderts zur Entwässerung gegraben bzw. aus bestehenden Kanälen errichtet. Bei einem hohen Wasserstand (mehr als 115,80 m.ü.A.) kann die österreichisch-ungarische Grenzgewässerkommission die Seerandschleuse bei Fertöujlak öffnen. Dabei gehen allerdings wertvolle Salze verloren, was langfristig zu einer Aussüßung des Sees führen kann.
- Durch Bewässerung der landwirtschaftlichen Felder durch Entnahme von Grundwasser schrumpft der Grundwasserkörper im Seewinkel ohne natürliche Erholung.
- Im Hinblick auf den Klimawandel muss man damit rechnen, dass die Niederschlagsmengen – und somit auch Überflutungen – sinken bzw. ungünstig über das Jahr verteilt auftreten, sodass das Oberflächenwasser gerade deshalb im Gebiet gehalten werden muss.
- Drainagierungen von Feuchtwiesen in angrenzenden Gebieten müssen der Vergangenheit angehören, Feuchtwiesen bieten für zahlreiche geschützte Arten wertvollen Lebensraum.
- Durch die fortschreitende Bodenversiegelung können keine natürlichen Kleinstgewässer mehr entstehen, welche große Bedeutung für die Vernetzung und Verbreitung vieler Tierarten wie z.B. Amphibien, Wasserorganismen etc. haben.
- Eutrophierung
Durch Düngung der nah an die geschützten Lebensräume angrenzenden Felder erfolgt ein Nährstoffeintrag in die sonst nährstoffarmen Lebensräume. Pflanzengesellschaften sind an nährstoffarme Bedingungen angepasst und verschwinden aus dem Gebiet, vor allem an Trocken- und Magerstandorten sowie Salzsteppen und Salzsumpfwiesen (FFH-LRT 1530*).
Schutzstatus-Konventionen und Richtlinien
FFH-Richtlinie 92/43/EWG
Nach dem österreichischen Artikel 17 Bericht 2019 des Umweltbundesamtes sind 56% der FFH-Lebensräume der kontinentalen Region in einem schlechten Erhaltungszustand, nur 7% in einem günstigen. Salzlebensräume und Dünen, die fast ausschließlich im Nordburgenland zu finden sind, sowie Süßwasserlebensräume, sind stark gefährdet (Abb.1) (Ellmauer et al., 2019).
Abbildung 1: Erhaltungszustände von österreichischen Ökosystemen- Lebensraumtypen gemäß Artikel 17 Bericht 2019.
Es bedarf legistischer Maßnahmen, um jegliche Verschlechterung der Europaschutzgebiete des Burgenlandes durch Eingriffe in deren System zu verhindern und diese langfristig schützen zu können (siehe auch Verschlechterungsverbot der FFH- Richtlinie 92/43/EWG Art.6/2 9). Es ist im Sinne des öffentlichen und internationalen Interesses, das Gleichgewicht der sensiblen Salzlebensräume des Burgenlandes zu erhalten, um deren langfristiges Bestehen dieser zu sichern.
„Wise use“– die Ramsar Konvention
Der See und die Salzlacken stehen als Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung unter dem Schutz der Ramsar Konvention. Das Land hat die Verpflichtung, nach dem „wise use“- Konzept der Ramsar Konvention Verantwortung für eine „wohlausgewogene Nutzung“ des Sees und des Grundwasserkörpers des Seewinkels zu zeigen. Die Erhaltung der natürlichen Lebensräume, ihrer Eigenschaften und Funktionen stehen dabei im Vordergrund, wobei dem öffentlichen Interesse Rechnung getragen wird. Ein künstlicher Eingriff darf nicht zum Zwecke der wirtschaftlichen Nutzung erzwungen werden, wenn dabei die Gefahr besteht, Europaschutzgebiete aus dem Gleichgewicht zu bringen und damit nachhaltig zu zerstören. Nach der Ramsar Konvention verpflichtet sich das Land, mit Feuchtgebieten verantwortungsvoll umzugehen, damit auch zukünftige Generationen sich an der Schönheit der Naturjuwele erfreuen können.
„Global Wetland Outlook“ der Ramsar Konvention
Intakte Feuchtgebiete haben nicht zuletzt für die Biodiversität, sondern auch für unser Klima große Bedeutung. Sie schützen uns vor Trockenheit und speichern eine große Menge an Kohlenstoff. Laut dem „Global Wetland Outlook“ setzt sich der Verlust der Feuchtgebiete weltweit immer weiter fort, Politiker und Entscheidungsträger nehmen den Wert der Ökosysteme für die Umwelt und für die Lebensqualität der Menschen immer noch zu wenig wahr. Dabei sind intakte Feuchtgebiete essenziell für die Erreichung der globalen Klimaziele und des Pariser Abkommens zum Klimawandel. Die Verlandung der Oberflächengewässer des Neusiedler See - Gebietes durch unzureichendes Management hätte globale Auswirkungen - vor allem auf die Biodiversität. Der See und die Salzlacken sind einer der bedeutendsten Lebensräume Mitteleuropas für zahlreiche Wasservögel. Seit 1970 sind 81% der Feuchtgebiets-Arten global bereits im Rückgang.
UN Sustainable Developmental Goals
Am 25. September 2015 wurden bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung zur „Transformation unserer Welt“ von allen Mitgliedstaaten verabschiedet, darunter auch Österreich. Die „UN Sustainable Developmental Goals“ sind eine Vereinbarung der UN - Mitgliedsstaaten mit der Absicht, die Lebensumstände in der Gegenwart zu verbessern, ohne dabei Ressourcen wie Wasser und Boden für zukünftige Generationen zu gefährden. Es braucht ein wohl überlegtes nachhaltiges Management, welches zum Ziel hat, alle Europaschutzgebiete des Burgenlandes dauerhaft und auch für zukünftige Generationen in seiner Besonderheit so zu erhalten, wie sie jetzt sind. Folgende vier von den 17 Zielen sind auf das Neusiedler See Gebiet anwendbar:
Ziel Nr. 6: Wasserabhängige Ökosysteme, welche in enger Zusammenwirkung mit dem Grundwasser stehen, sollen geschützt werden. Dazu gehört das Ramsar- Gebiet Neusiedler See – Seewinkel.
Ziel Nr. 8: Die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung soll angestrebt werden. Das Natura 2000 Gebiet Neusiedler See – nordöstliches Leithagebirge ist eine große Ressource und bietet uns viele Leistungen: Erholung, Wohlbefinden, Auswirkungen auf das Klima, Wasser, Tourismus, Artenvielfalt. Um das Fortbestehen der einzigartigen Feuchtgebiete zu ermöglichen, müssen wir respektvoll und nachhaltig damit umgehen, mit dem Fokus auf das ökologische Gleichgewicht trotz aller wirtschaftlicher Interessen. Dies umfasst auch den Grundwasserkörper des Seewinkels.
Ziel Nr. 11: Das Naturerbe und Weltkulturerbe soll bewahrt und gestärkt werden. Der Neusiedler See ist seit 2001 UNESCO Weltkulturerbe mit der Bezeichnung Kulturlandschaft Neusiedler See / Fertö taj. Die UNESCO sieht dieses Gebiet bereits aufgrund von mehreren Bauvorhaben rund um den Neusiedler See auf der ungarischen als auch auf der österreichischen Seite als gefährdet, es besteht Handlungsbedarf.
Ziel Nr. 13: Der Schutz des Klimas soll in der Regierung priorisiert werden, es braucht konkrete Maßnahmen und Umsetzungsstrategien zur Erreichung der Klimaziele. Dazu gehören auch die Erhaltung intakter Ökosysteme und deren Biodiversität.
Wasserrechtsgesetz
Laut dem österreichischen Wasserrechtsgesetz ist grundsätzlich ein Verschlechterungsverbot des Grundwassers und der Oberflächengewässer bei allen wasserrechtlichen Bewilligungen gegeben, siehe Wasserrechtsgesetz 1959 § 30 Abs. 1(3): „Alle Gewässer einschließlich des Grundwassers sind im Rahmen des öffentlichen Interesses und nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen so reinzuhalten und zu schützen, dass eine Verschlechterung vermieden sowie der Zustand der aquatischen Ökosysteme und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf ihren Wasserhaushalt geschützt und verbessert werden.“ Dieses Verschlechterungsverbot soll bei jeglichen Eingriffen sowie der Entnahme von Wasser aus dem Grundwasserkörper des Seewinkels berücksichtigt werden.
EU-Biodiversitätsstrategie 2030
Die Erhaltung der Biodiversität in jeder Hinsicht – auf Artniveau, auf genetischer Ebene und auf Ökosystemebene – ist die Grundlage für eine gesunde Umwelt – und damit unsere Lebensgrundlage. Die Pannonischen Salzlebensräume und Binnendünen sowie Trockenrasen und Feuchtgebiete des Burgenlandes sind enorm wichtig für die europäische Artenvielfalt. Die Vernetzung von Lebensräumen sichert durch ungestörte Wanderbewegung der Arten die genetische Fitness der einzelnen Populationen. Die Erreichung der Klimaziele (u.A. die Reduktion von CO2 Emissionen) durch grüne Energieerzeugung und technische Innovationen darf die Bedeutung der Biodiversität nicht in den Schatten stellen – funktionierende Ökosysteme sind die Grundlage für eine gesunde Umwelt und die größten CO2-Speicher. Wir brauchen ein grünes Netzwerk einer gesunden Natur, um den anthropogen bedingten Klimawandel nachhaltig in den Griff zu bekommen.
Literatur
Ellmauer, T.; Igel, V.; Kudrnovsky, H.; Moser, D. & Paternoster, D.: (2019): Monitoring von Lebensraumtypen und Arten von gemeinschaftlicher Bedeutung in Österreich 2016–2018 und Grundlagenerstellung für den Bericht gemäß Art.17 der FFH-Richtlinie im Jahr 2019: Endbericht, Kurzfassung. Reports, Bd. REP-0729. Umweltbundesamt, Wien. Im Auftrag der österreichischen Bundesländer.
Essl, F. (2005): 1530 * Pannonische Salzsteppen und Salzwiesen. In: Ellmauer, T. (Hrsg.), Entwicklung von Kriterien, Indikatoren und Schwellenwerten zur Beurteilung des Erhaltungszustandes der Natura 2000-Schutzgüter. Band 3: Lebensraumtypen des Anhangs I der FaunaFlora-Habitat-Richtlinie. Im Auftrag der neun österreichischen Bundesländer, des Bundesministerium f. Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft und der Umweltbundesamt GmbH, pp 30-39.
Global Wetland Outlook (ramsar.org)
Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Anhang I.
RIS - Wasserrechtsgesetz 1959 § 30 - Bundesrecht konsolidiert (bka.gv.at)
The Wise Use of wetlands | Ramsar
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Von: Cornelia Amon
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